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Quelle:

Finanzgericht Münster
Art des Dokuments: Urteil
Datum: 14.08.2023
Aktenzeichen: 8 K 294/23 E

Schlagzeile:

§ 175b AO ist auch dann anwendbar, wenn der Veranlagungsfehler ebenso bei Vorlage einer Papierbescheinigung aufgetreten wäre

Schlagworte:

Abfindung, Änderung, Arbeitslohn, Außerordentliche Einkünfte, Berichtigung, Bruttoarbeitslohn, Entschädigung, Korrektur, Prüfung, Steuerbescheid, Verfahrensrecht

Wichtig für:

Steuerberater

Kurzkommentar:

Ein Steuerbescheid kann bei fehlerhafter Berücksichtigung elektronisch übermittelter Daten nach § 175b AO unabhängig von der Fehlerquelle und somit auch dann geändert werden, wenn der Fehler ebenso bei Vorlage einer Bescheinigung in Papierform aufgetreten wäre.

Hintergrund: Der Kläger erhielt im Kalenderjahr 2018 eine Abfindung i. H. v. 9.000 €. Diese war laut der durch den Arbeitgeber der Finanzverwaltung elektronisch übermittelten Lohnsteuerbescheinigung in dem als Bruttoarbeitslohn ausgewiesenen Betrag enthalten. In ihrer Einkommensteuererklärung trugen die zusammenveranlagten Kläger die Abfindung zwar zutreffend ein, erklärten jedoch hinsichtlich des Bruttoarbeitslohns einen um 9.000 € gekürzten Betrag. Nachdem das Finanzamt die Voraussetzungen einer ermäßigten Besteuerung der Abfindung durch Anforderung weiterer Unterlagen überprüfte, berücksichtigte es im Einkommensteuerbescheid den (erklärungsgemäß) gekürzten Bruttoarbeitslohn. Der seitens des Risikomanagementsystems der Finanzverwaltung ergangene Hinweis, dass die Daten der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung von den erklärten Werten abwichen, wurde von der Sachbearbeiterin als geprüft abgezeichnet.

Nachdem das Finanzamt verwaltungsintern darauf hingewiesen wurde, dass durch die bisherige Veranlagung die Abfindung im Ergebnis der Besteuerung entzogen worden sei, erließ es einen geänderten Einkommensteuerbescheid. Die Kläger waren demgegenüber der Auffassung, dass eine Änderung der ursprünglichen Veranlagung nicht mehr möglich gewesen sei.

Der 8. Senat des Finanzgerichts Münster hat die Klage abgewiesen. Die Änderungsbefugnis ergebe sich aus § 175b Abs. 1 AO. Danach ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten i. S. d. § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Denn die vom Arbeitgeber des Klägers übermittelten elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen stellten übermittelte Daten i. S. d. § 93c AO dar, die bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung nicht zutreffend berücksichtigt worden seien. Unerheblich sei, worauf die unzutreffende Auswertung beruhe. Denn für die Anwendbarkeit des § 175b AO komme es nicht darauf an, ob eine Verletzung der Mitwirkungspflichten seitens des Steuerpflichtigen oder der Ermittlungspflichten durch die Finanzbehörde vorliege. Ebenso unerheblich sei es, ob dem Steuerpflichtigen bei Erstellung d er Steuererklärung ein Schreib- oder Rechenfehler im Sinne des § 173a AO oder der Finanzbehörde bei Erlass des Steuerbescheides ein mechanisches Versehen i. S. d. § 129 AO, ein Fehler bei der Tatsachenwürdigung oder ein Rechtsanwendungsfehler unterlaufen sei.

Nach Auffassung des 8. Senats sei auch keine den Wortlaut einschränkende teleologische Reduktion für den vorliegenden Fall geboten, in der die elektronisch übermittelten Daten korrekt waren und die Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheides auf einen Fehler der Finanzverwaltung zurückzuführen sei, der wahrscheinlich ebenso bei Vorlage eines Ausdrucks der Lohnsteuerbescheinigung durch den Steuerpflichtigen „in Papierform“ aufgetreten wäre. § 175b AO solle eine umfassende Korrekturmöglichkeit unabhängig von der Fehlerquelle ermöglichen.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Hinweis:

Die vom Senat zugelassene Revision ist beim Bundesfinanzhof unter dem Az. IX R 20/23 anhängig.

In der offiziellen Datenbank des BFH sind hierzu die folgenden Informationen gespeichert:

BFH Anhängiges Verfahren IX R 20/23
Aufnahme in die Datenbank am 20.09.2023
AO § 93c ; AO § 175b ; EStG § 24 Nr 1 Buchst a ; EStG § 34 Abs 1 ; EStG § 34 Abs 2 Nr 2 ; EStG § 41b Abs 1 S 2
Die im Vergleich zu den zwei elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen abweichenden Angaben des Steuerpflichtigen im Bereich des Bruttoarbeitslohns und den Entschädigungen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (im papierhaften Einkommensteuer-Vordruck des Jahres 2018, Anlage N, wären es die Kennziffern 47.110 (= Zeile 6) und 47.165 (= Zeile 18)), die das Finanzamt nach Prüfung übernommen hatte, führten zu einer (ungewollten) Minderung des Arbeitslohns bei § 19 des Einkommensteuergesetzes in Höhe der Entschädigungsleistung.
Kann sich das Finanzamt trotz im Veranlagungsverfahren vorgenommener Prüfung der ermäßigten Besteuerung der Entschädigungsleistung auf die Änderungsnorm des § 175b der Abgabenordnung stützen (Änderung wegen nicht zutreffender Berücksichtigung von Datenübermittlungen durch Dritte, hier: Arbeitgeber des Steuerpflichtigen)?
--Zulassung durch FG--
Rechtsmittelführer: Steuerpflichtiger
Vorgehend: FG Münster Urteil vom 14.08.2023 (8 K 294/23 E)

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